Warum sprechen hier so viele Deutsch?

Hermannstadt, Kronstadt, Mühlbach, Klausenburg, Lindenfeld, Weidenthal, Wolfsberg… Mal ganz ehrlich, hättet ihr diese Orte in Rumänien vermutet?

Ein ums andere Mal bin ich über den Einfluss der deutschen Sprache auf die Kultur hier in meinem Einsatzland verblüfft. Egal ob bei den Maltesern oder in der Sprachschule in Timișoara, beim Jugendtreff, beim Kirchenchor oder in der Frauenrunde – immer findet sich mindestens eine Person, die Deutsch spricht. Und dabei hört es nicht auf: viele Rumänen können mehrere Sprachen, sprechen zum Beispiel auch Serbisch, Ungarisch oder Kroatisch.

Hinweis: Wer keine Lust auf einen Ausflug in die Sprachgeschichte hat, spult einfach bis ans Ende vor und lauscht mal bei meinen rumänischen Musiktipps rein! 😉

Sprachgeschichte war schon im Studium einer der Bereiche der Linguistik die mich am meisten fasziniert haben, und daher habe ich mich gefragt, inwiefern es historisch begründet ist, dass Rumänien zumindest hier im Banat so vielsprachig aufgestellt ist. (Ja, das wird wieder einer von diesen langen, geschichtlich angehauchten Blogbeiträgen. Sorry an all meine Freunde, denen meine Artikel zu lang sind um sie in der Mittagspause zu lesen. Ich kann mich echt nicht kürzer fassen. Lest halt einfach ein bisschen schneller! 😀 )

Das Banat, das sei hier vielleicht noch vorab erklärt, ist die Region, in der ich mich befinde. Früher hatte er die etwa Größe von Belgien, heute liegt es zu zwei Dritteln in Rumänen, zu knapp einem Drittel in Serbien und mit einem kleinen Zipfel auch in Ungarn. Damit ihr euch das besser vorstellen könnt, habe ich eine sehr professionelle Karte gemalt. Tada:

Um die Antwort auf die Frage nach der historischen Begründung zu finden, müssen wir die Uhr ein wenig zurückdrehen, so um etwa 2.000 Jahre. Die ganze Welt liegt den Römern zu ihren mit Sandalen beschuhten Füßen. Die ganze Welt? Nein, ein unbeugsames Dorf in Gallien leistet Widerstand… Halt, Stopp, falsche Geschichte!

Also, die Römer dominieren die Weltgeschichte. Auch im heutigen Rumänien haben sie sich breit gemacht, unter Kaiser Trajan, seines Zeichens Vater von Hadrian (ja, der Hadrian, der den Hadrian’s Wall in England erbaute). Von 106 bis 271 gehört das Banat also zur römischen Provinz Dacia. (Ja, richtig erkannt, das ist heute der Name der rumänischen Automarke. Man ist hier eben stolz auf die römische Vergangenheit, ganz deutlich erkennbar auch beim Landesnamen: ROMânia.)

In der Provinz Dacia, oder auch Dakien genannt, lebten die Daker, ein Volk, das von Historiker Tacitus als „stets unzuverlässig“ beschrieben wurde. (Nun, wenn dem tatsächlich so war, so kann ich doch berichten, dass sich dieser Charakterzug in den letzten 2.000 Jahren zum Glück rausgewachsen hat!) Die Daker besiedelten die Gebiete westlich des Schwarzen Meeres und die Karpaten – also eben das heutige Rumänien.

Die römische Vergangenheit finden wir auch heute noch Stellenweise in den Ortsnamen wieder, zum Beispiel in Alba Iulia oder Băile Herculane, also Herkulesbad, einem Kurort, in dessen Heilquellen die Römer gerne entspannten und der bei mir definitiv auf der Liste der Orte steht, die ich besuchen möchte.)

Nach dem Römern kamen verschiedene Nomadenvölker in das Banat: Hunnen, Goten, Germanen, Awaren, Slawen, Bulgaren, Walachen, Alderaaner, Hutten, Wookies, Yedi… (Finde die Zeitreisenden! 😉 ) Zwischenzeitlich hatte sogar Karl der Große seine Finger mit im Spiel. Dann vereinnahmte Ungarn die Region, bis im Jahr 1241 die Mongolen einfielen und alles verwüsteten. Sie wurden jedoch letztendlich von den Ungaren erfolgreich vertrieben. Um das Banat fortan als „Pufferzone“ zwischen dem Königreich Ungarn und dem Byzantinischen Reich zu nutzen, wurden kurzerhand Siedler in das Gebiet gerufen. Viele Deutsche folgten dem Ruf des ungarischen Königs, da die Aussicht auf Land und Religionsfreiheit für sie verlockend war und ihnen von der Krone Sonderrechte versprochen wurden. (Ja, so langsam kommen wir der Sache mit der deutschen Sprache auf die Spur!)

Das Banat hatte bisher kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu: Im 14. Jahrhundert führte eine Plage von Wanderheuschrecken zu einer verheerenden Hungersnot, dann zerstörten Erdbeben alles Hab und Gut, und dann brach die Pest aus. Und als ob das noch nicht genug Strafe war, fielen dann auch noch die Osmanen über das Wenige her, was es im Banat noch zu ergattern gab. Sie eroberten im Jahr 1552 Timișoara, und die Region wurde dem Osmanischen Reich einverleibt. (Ihr erinnert euch vielleicht an den ganz kurzen Ausflug zu diesem Teil der Geschichte, den ich im Zusammenhang mit Mamaliga gemacht habe?)

Die türkische Oberhoheit fand knapp 200 Jahre später ein Ende, nämlich als die Habsburger sie im Kampf besiegten. Nun wurde das Banat also österreichisch, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Da die gebeutelte Region nach den Türkenkriegen nahezu menschenleer war, wurden zahlreiche Siedler geschickt. Karl VI. und seine Gattin Maria Theresia nutzen die Gunst der Stunde, um sich auf diese Weise unbequemer Protestanten zu entledigen. Viele Aussiedler kamen aus dem Süden Deutschlands, vor allem aus Schwaben, der Pfalz und Franken. Da die anderen Bewohner des Banats nicht Willens waren, hier so kleinlich zu unterscheiden, wurden einfach alle Deutschen als „Schwaben“ bezeichnet, was erklärt, warum sich im Zusammenhang mit den deutschen Aussiedlern Begriffe wie „Donauschwaben“ und „Schwabenzüge“ durchgesetzt haben. Die süddeutsche Herkunft hört man übrigens noch heute ganz deutlich heraus bei den Rumäniendeutschen, denn es klingt sehr schwäbisch.

Die folgenden hundert Jahre spulen wir mal ein bisschen vor (seht ihr, wie kurz ich mich fasse?): Österreicher, Türken, Pest, Österreicher, Ungarn, Erdbeben. Zack, feddich.

Zwischen den beiden Weltkriegen rief man in Timișoara (übrigens die größte Stadt des gesamten Banats) die „Banater Republik“ aus – ein frommer Versuch, diesen Vielvölkerstaat vor der Zerstückelung zu bewahren. Wer sich jetzt an den Anfang dieses Artikels zurückerinnert, weiß bereits, dass der Versuch eher nicht von Erfolg gekrönt war, denn die Region wurde letztendlich zwischen Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt.

Im 2. Weltkrieg plante Göring, das Banat als Pufferzone zwischen Jugoslawien und Ungarn zu nutzen. (Das Konzept kommt uns bekannt vor, oder?) Dazu kam es jedoch gar nicht erst, da der rumänische Diktator Antonescu, der mit den Nazis kooperiert hatte, vom rumänischen König Michael I. gestürzt wurde. (Das war übrigens im Jahr 1944, falls das jemand wissen wollte.)

Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Gräueltaten der Nazis in Rumänien, Ungarn und Serbien der dort lebenden deutschen Minderheit angelastet, was Vertreibung, Enteignung und Entrechtung zur Folge hatte. In den 80er und 90er Jahren wanderten viele Rumäniendeutsche aus, sodass heute nur noch eine kleine Minderheit hier im Banat lebt. (Übrigens ist auch der Präsident Rumäniens, Klaus Johannis, der bei der Wahl am 24. November gerade ganz frisch wiedergewählt wurde, ein Rumäniendeutscher.) Dafür kamen im gleichen Zeitraum aber zahlreiche Flüchtlinge aus dem Kosovo, aus Kroatien und aus Bosnien-Herzegowina hierher, die noch ein bisschen mehr Diversität in die Gegend brachten.

Fassen wir also noch mal kurz zusammen: Römer, Germanen, Ungarn, Mongolen, Türken, Österreicher, Deutsche… die bunte Zusammensetzung der Banater Bevölkerung ist einfach nur eine logische Konsequenz der turbulenten Geschichte dieser Region. Und was das Ganze so relevant für mich und meinen Einsatz macht: Dieser Mix an Kulturen, die das Land bzw. die Region geprägt haben, ist auch heute noch unglaublich stark spürbar. Wie, fragt ihr euch? Lasst mich ein paar Beispiele nennen:

Essen

In der kulinarischen Welt Rumäniens spiegelt sich die Vielfältigkeit des Vielvölkerstaats wieder: mititei, also Hackfleischklösse mit Knoblauch, Bohnenkraut und Pfeffer, übernommen von den Türken; musacas (ein Auflaufgericht) von den Griechen; zacuscă (Paste aus gegrilltem Gemüse) von den Bulgaren; șnițel (Schnitzel) von den Österreichern, covrigi (heiße Brezeln) von den Ungarn; plăcintă (Kuchen oder Krapfen gefüllt mit Äpfeln oder Käse) von den Römern – die rumänische Küche ist also auch ein Zeugnis der Landesgeschichte.

Sprache

Harte „tsch“-Laute, die in eine sehr melodische Sprache eingebettet werden – Rumänisch ist für mich das lovechild, also das uneheliche Kind, der italienischen und einer slawischen Sprache. Tatsächlich findet man in der rumänischen Sprache des Banats auch Lehnwörter, die den Sprachen der verschiedenen Eroberer entnommen sind, so wie etwa bigleis  (von dt. „Bügeleisen“) oder sarma (von türk. „sarma“ = Roulade). Auch die Tatsache, dass viele Menschen mehrere Sprachen beherrschen, zeugt davon, dass der Vielvölkerstaat seine Fühler bis ins 21. Jahrhundert streckt, auch wenn es de fakto eher die älteren Leute sind, die neben Rumänisch auch noch Deutsch, Serbisch oder Ungarisch beherrschen. Das war früher einfach so, haben mir die Bewohner im Altenheim in Timișoara erklärt. Wenn der Nachbar Serbe war, lernte man eben Serbisch, und wenn er aus Ungarn kam, lernte man Ungarisch. Finde ich toll!

Architektur

Besonders die orthodoxen Kirchen hier haben ein Flair, das ich als „byzantinisch“ bezeichnen würde: Mosaike, prachtvolle Kuppeln, geschwungene Bögen, Säulen, kunstvoll verzierte Fassaden aus Ziegeln oder Keramik (gerade die verzierten Fassaden findet man hier aber auch an unglaublich vielen einfachen Wohnhäusern). Ein wunderbares Beispiel dafür ist die orthodoxe Kathedrale in Timișoara.

Details an der Fassade der orthodoxen Kathedrale

Musik

In der rumänischen Popmusik höre ich den Einfluss der türkischen Herrschaft in manchen Songs auch noch recht deutlich heraus, in dieser typischen Art zu singen. (Ich nenne es mal „arabisches Urseln“, in Ermangelung eines passenderen Ausdrucks. Wortvorschläge sind willkommen.) Wer mag, kann gerne mal hier in ein Beispiel reinhören:

Ebenso hört man es in den Weihnachtsliedern, die hier colinde heißen. Auch hier eine Hörprobe für neugierige Menschen:

Übrigens: Die Sängerin Miss Platnum ist auch Rumäniendeutsche, geboren in Timișoara. Wem der Name nichts sagt: Sie hat zum Beispiel zusammen mit Materia für den Ohrwurm „Lila Wolken“ gesorgt („Wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind…“).

Und noch ein Hinweis: Ist zwar ein eher durchschnittlicher 0815 Popsong in meinen Augen, aber das Musikvideo wurde in Timișoara gedreht. Wer die Augen aufspäht, kann sogar die orthodoxe Kathedrale erspähen. Hier geht’s zum Video auf Youtube:

So, ich denke, an dieser Stelle beenden wir die heutige Geschichtsstunde mal. Schaltet auch beim nächsten Mal wieder ein, wenn ich höchst professionell die rumänische Vergangenheit seziere, dann zu dem Thema: „Was hatte Dracula mit den Türken am Hut?“

Einen schönen vierten Advent euch allen!

P.S.: Es gibt in Rumänien nicht nur die Banater Schwaben, sondern auch die Siebenbürgener Sachsen. Ist historisch alles recht ähnlich, und die Bezeichnung „Sachsen“ geht vermutlich auf den lateinischen Begriff „Saxones“ zurück, der für die Siedler aus dem heutigen Deutschland gebraucht wurde. Da ich aber hier im Banat wohne, habe ich mich dafür entschieden, mich auf diese Region zu konzentrieren. 🙂

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